Braune Propaganda am Laternenpfahl
Zielgruppe Jugendliche: Rechtsradikale machen verstärkt mit Aufklebern auf sich aufmerksam
(wü). Sie sind klein und unscheinbar – ihre Wirkung fatal. Mit Aufklebern wirbt die rechtsradikale Szene verstärkt um Aufmerksamkeit. Im Visier der Neonazis sind vor allem Jugendliche. Wenn Lühndes Ortsbürgermeister Thomas Weiß durchs Dorf geht, hat er stets einen kleinen Metallschaber in der Tasche. Und den setzt er ziemlich oft ein. Ob an Laternenpfählen oder Verkehrsschildern – in jüngster Zeit tauchen häufig Aufkleber aus der rechten Szene auf. Die braune Propaganda spricht gezielt Jugendliche an, auf den Mini-Plakaten werben junge Menschen mit Botschaften wie zum Beispiel „Nationaler Sozialismus – genau mein Stil“. Besonders massiv in der Nähe von Sportplatz und Grundschule. Mal stammen sie von einer Gruppe „Für ein besseres Hannover“, mal von einer Hildesheimer „Bürgerinitiative für Zivilcourage“. Die hat sich Ende 2011 zwar offiziell aufgelöst, ist im Internet aber nach wie vor präsent. Der Ortsbürgermeister weiß, wie anfällig gerade Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren für das krude Gedankengut der Neonazis sind. Als Sozialarbeiter in der Laatzener Jugendhilfeeinrichtung EFES hat er die Erfahrung gemacht, dass Heranwachsende in dem Alter oft ohne Orientierung sind und keine Perspektive für sich sehen. „Das nutzen rechte Organisationen mit schlichten Botschaften aus“, sagt Sozialdemokrat Weiß. Ihn ärgert eine „gewisse Gleichgültigkeit“ in Teilen der Bevölkerung gegenüber rechtsradikalen Tendenzen. „Ich wünsche mir da mehr Wachsamkeit.“ Die wünscht sich auch die Polizei.
„Wir schauen schon sehr genau hin, wenn irgendwo Aufkleber auftauchen“, sagt Uwe Herwig, der Pressesprecher der Polizeiinspektion in Hildesheim. Aber jeden Winkel in Stadt und Landkreis könne die Polizei nicht im Blick haben. „Wenn Aufkleber verfassungsfeindliche Zeichen tragen oder zu Gewalt aufrufen, sollten Bürger umgehend anrufen“, sagt Herwig. Das gelte gleichermaßen für Botschaften aus dem extremen linken Lager. Mehr Wachsamkeit könnten aber auch die Kommunen an den Tag legen, findet Thomas Weiß. Vielleicht nach dem Vorbild der Stadt Laatzen. Deren Mitarbeiter sind laut einer Dienstanweisung verpflichtet, Aufkleber mit radikalen Botschaften sofort zu entfernen oder dem Ordnungsamt zu melden. „Ein gutes Signal“, sagt Lühndes Ortsbürgermeister. Die Gemeinde Algermissen, zu der Lühnde gehört, setzt indessen auf die Mithilfe der Einwohner. „Wir sind für jeden Hinweis dankbar“, sagt Gemeindebürgermeister Wolfgang Moegerle. Die Mitarbeiter des Bauhofes seien gehalten, regelmäßig nach Aufklebern zu schauen, bei weit mehr als 1000 Laternenpfählen im Ort sei das aber kaum zu schaffen. Die rechte Szene setzt offenbar darauf, dass ihre Parolen manchmal erst nach Monaten von der Bildfläche verschwinden. In Rössing prangten im vergangenen Herbst monatelang Nazi-Schmierereien auf den Glasscheiben von drei Bushaltestellen. Ortsbürgermeisterin Tita von Rössing hatte die Gemeinde per E-Mail darüber informiert – trotzdem passierte nichts. Erst nach einer erneuten Nachricht, die dann auch an den Niedersächsischen Verfassungsschutz und verschiedene Medien gegangen war, verschwanden die rechten Sprüche. Im Rathaus sei die erste E-Mail anscheinend irgendwo untergegangen, lautete ein Erklärungsversuch für den Patzer. Drei Wochen später verunzierten Beschimpfungen und Hakenkreuze die Schlossmauer in Rössing. In dem Schloss wohnen die Ortsbürgermeisterin und ihre Familie. Die Polizei fasste die Täter, eine Gruppe Jugendlicher. Tita von Rössing hat mit den Zwölf- und 13-Jährigen über deren Motive gesprochen. „Sie hatten gar keine, sie taten es aus Langeweile“, sagt sie. Die Schmierereien an den Bushaltestellen dagegen seien eindeutig auf das Konto von Rechtsradikalen gegangen. In Lühnde, so schätzt Thomas Weiß, ist es ein Kern von vier, fünf Jugendlichen, die unter dem Einfluss von Rechtsextremen stehen. Der Ortsbürgermeister und der Jugendbeauftragte des Ortsrates, Cay-Peter Meyer, wollen sie nicht den Neonazis überlassen. „Wir werden mit ihnen reden und ihnen signalisieren, dass wir sie nicht verloren geben.“