Urteil im Prozess um Lühnder Schützenfest Schlägerei
„Rohe und brutale“ Dorf-Kontrahenten / Gefährliche Körperverletzung: Mehrjährige Haftstrafen für zwei Algermissener nach Schlägerei / Bleibende Schäden
Die beiden Opfer lagen bereits benommen am Boden: der 20-jährige Auszubildende durch Faustschläge ins Gesicht, der 17-jährige Gymnasiast durch einen gezielten Kickbox-Tritt gegen die Brust. Die schwere Schlägerei gegen Mitternacht auf dem Lühnder Schützenfestplatz im Mai 2010 war damit beileibe noch nicht zu Ende. Beide jungen Männer bekamen von ihren Kontrahenten noch einen finalen Fußtritt ins Gesicht. Erst im Krankenwagen erlangten sie das Bewusstsein wieder. Wegen dieser schweren Schlägerei standen jetzt zwei Algermissener vor Gericht. Die Jugendkammer verurteilte sie gestern zu mehrjährigen Haftstrafen ohne Bewährung: den 19-Jährigen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten, den 22-Jährigen unter Einbeziehung vorheriger Straftaten zu einer Gesamtstrafe von drei Jahren und zwei Monaten. Er stand zur Tatzeit unter Bewährung.
Regungslos hörten beide bei der Urteilsverkündung zu – mit Haft hatten sie nicht gerechnet. Das Gericht blieb in seinem Urteil jedoch etwas unter dem geforderten Strafmaß der Staatsanwältin Julia Bauer. Sie hatte „wegen der potentiell lebensbedrohlichen Verletzungen“ durch den Kopftritt mit dem Schuh als „gefährliches Werkzeug“ auch für eine Strafe wegen versuchten Totschlags plädiert. Dem wollte das Gericht nach intensivem Abwägen aber nicht folgen. Es entschied sich nach eigener Aussage aber dennoch für ein hohes Strafmaß, um die schmale Grenze zum versuchten Totschlag deutlich zu machen. Im Mittelpunkt der Verhandlung standen immer wieder die brutalen Fußtritte gegen die Köpfe der beiden Opfer. Während die Verletzungen des Gymnasiasten ambulant behandelt werden konnten, musste der Auszubildende mehrere Wochen im Krankenhaus bleiben. Er behält Schäden: eine deutliche Hörminderung im linken Ohr, körperliche Beeinträchtigungen sowie einen Tinnitus. Und auch psychische Folgen: „Mein Sohn ist nach der Schlägerei nicht mehr der alte“, sagte die Mutter bewegt aus. Das gesamte Leben der Familie habe sich durch diesen Vorfall verändert. Bis zum Ende der Beweisaufnahme wollte keiner der Angeklagten zu diesem brutalen Tritt ins Gesicht ein Geständnis ablegen.Der eineAngeklagte schwieg sogar bewusst, um seinen Kumpel zu schützen. Ganz anders die Anwälte: Sie begannen in ihren Plädoyers gegenseitig, jeweils den Mandanten des anderen mehr oder weniger offen zu beschuldigen, flöhten kleinste Zeugenaussagen nach irgendwelchen Hinweisen für eine mögliche Unschuld durch, selbst wenn die Zeugen einen allzu widersprüchlichen Eindruck vor Gericht hinterlassen hatten. „DieOpfer werden hier ja geradezu verhöhnt, wenn der eine Angeklagte jetzt auch noch aus Notwehr gehandelt haben will“, kritisiert Mario Sünder, Anwalt des einen Nebenklägers, scharf. Das Gericht ließ in seiner Urteilsbegründung jedoch keinen Zweifel daran, dass der jüngere Algermissener den Tritt mit Spann und voller Wucht ausgeführt hat, er die schlimmen und bleibenden Verletzungen zu verantworten hat. „Eine erschreckende Rohheit und Brutalität“, brachte es der Richter auf den Punkt. Teilweise habe es der arbeitslose junge Mann ja auch während der Verhandlung eingestanden. Wichtig für das Urteil sei aber zudem, dass die beiden Angeklagten sowie ein weiterer 16-jähriger Schüler gemeinschaftlich, in stillschweigendem Einverständnis gehandelt haben. Das Gericht sprach von einem „gruppendynamischen Kampfgeschehen“, bei dem jeder mit Fäusten und Füßen austeilte. Dabei sei die Aggression eindeutig von den alkoholisierten Angeklagten ausgegangen. „Die haben Stress gesucht“, war sich das Gericht sicher. Der Schüler syrischer Herkunft wurde zu einer Jugendstrafe von einemJahr und sechs Monaten verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Die beiden Opfer dagegen haben sich bei dem Lühnder Schützenfest defensiv und deeskalierend verhalten, mit ihren Aussagen einen durchweg glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, betonte Richter Heckemüller. Gefasst nahmen beide die Verurteilung ihrer Dorf-Kontrahenten zur Kenntnis. „Ja, Haft ist in Ordnung“, sagte der eine und sein Kumpel nickte zustimmend.