Große mittelalterliche Kirche in kleinem Dorf – Wir sind 900 Jahre
Eine romanische, kreuzförmige Bruchsteinkirche mit massivem Wehrturm und als dreischiffige Kirche erbaut. Wie passt diese große mittelalterliche Kirche in das kleine Dorf Lühnde?
Die Nachrichten über unsere Gegend werden erstmals mit der Einführung des Christentums durch die Franken in den letzten drei Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts häufiger. Nach der Gründung von Missionsstationen werden von Westen nach Osten die Bistümer gegründet, Hildesheim als letztes im Jahr 815 durch Karls Sohn, Ludwig den Frommen. Es könnte sein, dass auf Anordnung Karls des Großen in unserem Gebiet fränkische Wehrbauern angesiedelt wurden, die das Land gegen die slawische Gefahr aus dem Osten absichern sollte. Historiker sehen als Hinweise darauf die Gerichtsbarkeit in Lühnde, den „Königsstuhl“ als Flurbezeichnung, den „Königszins“ als Abgabe sowie Martin von Tours als Namenspatron der Kirche.
Die Kirche in Lühnde ist eine von 41 Archidiakonatskirchen im Bistum Hildesheim. Zum Archidiakonat Lühnde gehörten ca. 28 der umliegenden Ortschaften. Es ist davon auszugehen, dass bereits kurz nach der Gründung des Bistums in Hildesheim 815 an dieser Stelle eine erste Holzkirche errichtet wurde.
Die Urkunde aus dem Jahr 1117 bestätigt die Abtrennung eines Dorfes von der Mutterkirche in Lühnde. Graf Adelbert von Haimar und sein Sohn Bertolt beschließen mit dem Pfarrer Adelbert, dem Verwalter der Mutterkirche in Lühnde, dass das Dorf Evern, welches zur Kirche in Lühnde gehörte, abgetrennt und eigenständig werden soll. Der Graf gibt dem Pfarrer dafür 24 Morgen mit einer Hofstelle in Schutellobeke sowie eine Mark Silber. Das Synodalrecht behält die Kirche in Lühnde. Evern unterstützt weiterhin die Mutterkirche bei der Wiederherstellung ihres Kirchengebäudes, sobald dies notwendig wird. Eberhard wird zum ersten Pfarrer in Evern bestellt.
Diese erste urkundliche Erwähnung Lühndes erfolgte am 11. Mai 1117. Es handelt sich dabei um eine Loslösung von der Mutterkirche, somit muss unsere Kirche schon Jahrhunderte davor bestanden haben. Später lösen sich viele weitere Orte ab. Urkunden liegen vor für Groß und Klein Lobke 1187, Sehnde 1207, Bründeln 1277 und Bolzum 1288.
Zwei weitere Hinweise auf das Alter der Kirche finden sich im Kirchengebäude selbst. Die Kirche wurde dem Frankenheiligen Martin von Tours geweiht. Nur die ältesten Kirchen haben diesen Namenspatron. Im gotischen Gewölbe der Kirche befindet sich ein Stephanus Schlussstein. Kirchen, in denen die Gläubigen den Heiligen Stephanus verehrten, gehören zu den ältesten und wurden bereits durch fränkische Missionare gegründet.
Das alte Dorf Lühnde war ursprünglich mit Wall und Graben befestigt. Um 1290 ordnete Bischof Siegfried aus Hildesheim den Bau der Befestigungsanlage an, um den Ort vor Plünderungen und Überfällen zu schützen. Der Grundrissplan des Ortes zeigt, dass es sich um eine sehr alte gewachsene und nicht von einem Grundherrn geplante Siedlung handelt. Aus der Kopfsteuerbeschreibung des Hochstifts Hildesheim weiß man, dass im Jahr 1664 241 Personen in Lühnde lebten. Es gab drei Vollspänner, neun Halbspänner und 42 Köhtnerstellen. Die zwölf Hofstellen der Voll- und Halbspänner sind in ihrer Anzahl für das Mittelalter anzunehmen. Die Köthnerstellen kommen erst im ausgehenden Mittelalter hinzu, als die Bevölkerungszahl ansteigt und deshalb neue Hofstellen ausgewiesen werden müssen. Die Köthner üben neben der Landwirtschaft verschiedene Berufe aus, um ihren Lebensunterhalt sichern zu können. Sie sind Rademacher, Drechsler, Schuster, Schneider, Zimmermann, Fenstermacher, Pflugmacher, Krüger, Leineweber oder Kramer. Sogar ein Bader war im Dorf ansässig.
Deutlich wird die Bedeutung des Dorfes ebenfalls durch die Gerichtsbarkeit. In sächsischer Zeit befand sich der Mittelpunkt mit dem Goding auf dem Hassel zwischen Lühnde, Bledeln, Ingeln und Wehmingen. Noch im ausgehenden Mittelalter ist der Hassel der Hauptgerichtsplatz zwischen Hildesheim und Hannover und die entscheidende Instanz. Die Verhandlungen fanden jeweils am Donnerstag nach Lichtmess, Fronleichnam und Michaelis statt. Im 15. Jahrhundert unterstanden Lühnde und die umliegenden Dörfer der Landesherrschaft des Hildesheimer Bischofs, die Freien aber dem Herzog von Lüneburg. Es kam zu ständigen Übergriffen. Deshalb verlegten die Lüneburger das Gericht in ihr eigenes Gebiet nach Ilten. Als dann im Jahr 1501 die erste Gerichtsverhandlung in Ilten bezeugt wird, wird die Bezeichnung „Freiding zu Lühnde“ immer noch beibehalten. Diese Bezeichnung bleibt für das Gericht sogar bis 1643 bestehen.
Im Mittelalter und bis in die Frühe Neuzeit gehörte Lühnde zum Hochstift Hildesheim. Die politische Zugehörigkeit des Ortes wechselte in der Neuzeit mehrmals. Obwohl das Hochstift Hildesheim in der Hildesheimer Stiftsfehde militärisch gesiegt hatte, musste es Gebietsverluste hinnehmen und so gelangte Lühnde 1523 zum Gebiet der Calenberger Welfen.
Diese neue Zugehörigkeit hatte auch unmittelbare Auswirkungen auf Lühnde.
Elisabeth von Calenberg, die Witwe des Herzogs Erich und Regentin für ihren minderjährigen Sohn, war eine enthusiastische Befürworterin der Reformation und hatte das Ziel, alle Orte in ihrem Herrschaftsgebiet zum evangelischen Glauben zu führen. Das hatte zur Folge, dass es in Lühnde zum Glaubenswechsel kam. Die Umsetzung für Lühnde erfolgte per Dekret im Jahr 1543. Die Menschen nahmen den neuen Glauben an und Kirche und Dorf wurden evangelisch.
Nach einem über hundertjährigem Streit konnte 1643 das Hochstift Hildesheim zwar die Gebietsverluste rückgängig machen und Lühnde gelangte wieder zum Hochstift Hildesheim, hätte demzufolge wieder katholisch werden müssen. Gemäß einer Sonderregelung im Augsburger Religionsfrieden von 1555 konnten aber diejenigen Reichsstände und Orte ihren Glauben beibehalten, in denen die Reformation vor 1555 durchgeführt worden war.
Unruhige Zeiten mit einem mehrfachen Wechsel gab es auch zur napoleonischen Zeit, bevor Lühnde endgültig 1815 dem Königreich Hannover zugeordnet wurde. Das Königreich Hannover ging schließlich nach dem 2. Weltkrieg im heutigen Land Niedersachsen auf.
Bettina Biesterfeld-Beinker