Schützenfest endet auf der Intensivstation

Prozessauftakt: Zwei junge Algermissener wegen versuchten Totschlags und Körperverletzung angeklagt

Nur eine Rangelei bei den Autoscootern ist es zunächst gewesen. Dort trafen beim Schützenfest in Lühnde das spätere Opfer und der 19-jährige Angeklagte zum ersten Mal aufeinander. Ein Missverständnis auch um eine junge Frau, das eigentlich nach kurzem Kräftemessen binnen weniger Minuten geklärt schien. Kaum der Rede wert. Damals ahnte das Opfer, ein 20-jähriger Auszubildender aus Algermissen, freilich noch nicht, wie folgenschwer dieser Schützenfest-Besuch im Mai 2010 für ihn und auch für seinen Freund, einen 17-jährigen Gymnasiasten aus Lühnde, gegen Mitternacht enden würde. Hirnblutungen, Kopfschwellungen, Prellungen, Innenohrverletzungen und Blutergüsse – so steht es nun in der Anklageschrift beim Landgericht. Die beiden mutmaßlichen Täter müssen sich wegen versuchten Totschlags und Körperverletzung verantworten. Gegen beide, bereits einschlägig bekannte Männer wurde sogar kurzzeitig Haftbefehl erlassen.

Staatsanwältin Julia Bauer bezeichnete die Verletzungen als „potentiell lebensbedrohlich“. Besonders geht es dabei um Tritte gegen den Kopf des 20-jährigen Opfers,  das zu diesem Zeitpunkt der Schlägerei bereits am Boden lag, zwischendurch auch kurz  bewusstlos gewesen sein soll. Entscheidende Frage für das Gericht unter Vorsitz von Richter  Volker Heckemüller: Wer hat so brutal zugetreten? „Wie beim Freistoß im Fußball – mit Spann und voller Wucht?“, fragt er einen unmittelbaren Zeugen. Zum besseren Verständnis lässt er den  jungen Mann sogar im Gericht gegen einen Aktenordner treten. Die vielen, durchweg jungen Besucher im Gerichtssaal halten kurz die Luft an. Was den Kopftritt angeht, belasten den 19-jährigen Angeklagten, der zur Zeit arbeitslos ist, gleich mehrere Zeugen. Das Opfer, das 24 Tage im Krankenhaus verbringen musste, will ihn sogar im Liegen noch eindeutig identifiziert  haben – just dann, als der Angreifer auf demFestplatz von oben auf ihn runterschaute und  beschimpfte. Markant in Erinnerung sei ihm auch die auffällige, damals blondschwarze Frisur des Angeklagten geblieben. Der mutmaßliche Täter, der vor der Schlägerei acht Bier, 15 Kurze und noch Wodka getrunken hat, räumt in der Verhandlung zum ersten Mal tatsächlich Tritte ein, aber  lediglich in die Seite des Opfers. „100-prozentig nicht gegen den Kopf.“ Der zweite Angeklagte, ein 22-jähriger Auszubildender, verschweigt nicht, sehr wohl zu wissen, wer beim Schützenfest zugetreten hat. Auch er hat zuvor reichlich Alkohol konsumiert: rund zehn Bier und 20 Kurze, erinnert er sich. Der junge Mann will aber keinen Namen nennen, um niemanden zu belasten. Dieses Hin und Her bringt Richter Heckemüller zusehends in Rage: „Was soll das Kaspertheater nach dem Motto: Sucht euch doch den Richtigen aus?“, platzt es aus ihm heraus. Auch dass sich die beiden Angeklagten vor Gericht nun wie Streitschlichter ausgeben wollen, nervt das Gericht. Wie passt dazu ein Entschuldigungsbrief, den der 22-jährige Angeklagte im August an das Opfer schrieb?  Darin bot er seinem ehemaligen Klassenkameraden später sogar Geld an – als  Wiedergutmachung für die Folgen der Schlägerei. Der junge Mann leidet noch heute auf dem einen Ohr unter deutlicher Hörminderung sowie einem Tinnitus. Der Brief sei ein Tipp seines Anwalts gewesen, erläutert der unter Bewährung stehende Mann kleinlaut. Das ließen juristische Formulierungen beim Vorlesen im Gerichtssaal ohnehin vermuten. Mitangeklagt ist als Dritter ein 16-jähriger Schüler syrischer Abstammung, der bei der schweren Schlägerei am Rande des  Lühnder Festplatz ebenfalls eine Rolle gespielt hat. Ihm wird Körperverletzung zur Last gelegt. Er  soll der Aggressor gewesen sein, der nach der Rangelei bei den Autoscootern hinter dem späteren Opfer und seinem Freund hinterherlief und gesagt haben soll: „Ich will Stress!“ Als er sich partout nicht abwimmeln ließ, habe eine Klopperei begonnen. Dabei soll der 16-Jährige wie ein Kick-Boxer auf seinen Kontrahenten losgegangen sein – das spätere, zweite Opfer. Das ging im  Verlauf der Schlägerei ebenfalls blutend zu Boden, trug Gesichtsverletzungen, Blutergüsse und  Prellungen davon. Beide Opfer erlangten erst im Krankenwagen das Bewusstsein wieder. Die Verhandlung wird morgen fortgesetzt.

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